Zertifizierungssysteme

Tobias Hutter

In Zeiten des Klimawandels und steigender Energiepreise gewinnt die Nachhaltigkeit von Gebäuden immer mehr an Bedeutung. Zertifizierungssysteme für Gebäude bieten eine Möglichkeit, die Nachhaltigkeit von Gebäuden zu messen und zu fördern. Sie schaffen Transparenz für Bauherren, Investoren und Nutzer und ermöglichen einen objektiven Vergleich von Gebäuden. Darüber hinaus fördern sie Innovationen im Bauwesen und unterstützen die Entwicklung neuer Technologien und Materialien. Durch die Einhaltung von Zertifizierungsstandards können Gebäude nicht nur umweltfreundlicher gestaltet werden, sondern auch ihren Wert auf dem Immobilienmarkt steigern.

Zertifizierungssysteme für Gebäude sind strukturierte Verfahren zur Bewertung und Klassifizierung von Gebäuden hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Umweltauswirkungen und weiteren Faktoren. Diese Systeme helfen dabei, die Qualität von Gebäuden zu bewerten und zu verbessern, indem sie klare Kriterien und Standards vorgeben. Dadurch können Gebäude hinsichtlich ihrer ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte verglichen und verbessert werden. Die Zertifizierungssysteme zielen darauf ab, nachhaltige Baupraktiken zu fördern, den Energieverbrauch zu reduzieren und die Lebensqualität in Gebäuden zu steigern.

Die verschiedenen Zertifizierungssysteme bewerten Gebäude anhand unterschiedlicher Kategorien und Kriterien. Diese Kategorien umfassen in der Regel:

  1. Energieeffizienz: Maßnahmen zur Reduzierung des Energieverbrauchs und zur Nutzung erneuerbarer Energien.
  2. Wasserverbrauch: Maßnahmen zur Reduzierung des Wasserverbrauchs und zur effizienten Nutzung von Wasserressourcen.
  3. Materialwahl: Verwendung umweltfreundlicher und nachhaltiger Materialien.
  4. Innenraumqualität: Verbesserung der Luftqualität, des Tageslichts und des Komforts in Innenräumen.
  5. Standort und Transport: Berücksichtigung der Lage des Gebäudes und der Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
  6. Management und Prozesse: Planung, Bau und Betrieb des Gebäudes unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten.
  7. Innovation: Entwicklung und Anwendung innovativer Technologien und Lösungen.

Die verschiedenen Kriterien werden je nach Zertifizierungssystem unterschiedlich gewichtet. Die Gewichtung spiegelt die Bedeutung der einzelnen Kriterien für die Gesamtbewertung des Gebäudes wider. In einigen Systemen, wie z. B. DGNB und ÖGNI, wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, bei dem alle Kriterien gleichgewichtig behandelt werden. In anderen Systemen, wie z. B. LEED, werden bestimmte Kategorien, wie Energieeffizienz und Innenraumqualität, stärker gewichtet. Die Gesamtpunktzahl wird anhand der erreichten Punktzahl in den einzelnen Kategorien berechnet und führt zu einer Einstufung des Gebäudes in eine der Zertifizierungskategorien.

LEED (Leadership in Energy and Environmental Design)
LEED ist eines der bekanntesten und am weitesten verbreiteten Zertifizierungssysteme weltweit. Es wurde vom U.S. Green Building Council (USGBC) entwickelt und umfasst verschiedene Kategorien wie Standort, Wasserverbrauch, Energieeffizienz, Materialwahl und Innenraumqualität. Gebäude, die nach LEED zertifiziert sind, erhalten Punkte in den verschiedenen Kategorien, die sich zu einer Gesamtpunktzahl summieren. Je nach erreichter Punktzahl werden die Gebäude in die Kategorien LEED Certified, Silver, Gold oder Platinum eingestuft. LEED legt besonderen Wert auf die Reduzierung des Energieverbrauchs und die Verbesserung der Innenraumqualität.

Abb. 1 LEED Kategorien und Bewertung [1]

DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen)
Das DGNB-Zertifizierungssystem ist ein umfassendes Bewertungssystem, das in Deutschland entwickelt wurde. Es bewertet Gebäude anhand von sechs Hauptkategorien: Ökologische Qualität, Ökonomische Qualität, Soziokulturelle und funktionale Qualität, Technische Qualität, Prozessqualität und Standortqualität. Jede Kategorie umfasst verschiedene Kriterien, die auf die Nachhaltigkeit und die Qualität des Gebäudes abzielen. Die Gesamtbewertung wird anhand eines gewichteten Punktesystems berechnet, das zu einer Klassifizierung in Bronze, Silber, Gold oder Platin führt. Das DGNB-System zeichnet sich durch seine ganzheitliche Betrachtung der Nachhaltigkeit aus.

Abb.2  DGNB / ÖGNI Kategorien und Bewertung

BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Method)
BREEAM ist ein britisches Zertifizierungssystem, das zu den ältesten und bekanntesten weltweit zählt. Es bewertet Gebäude in den Bereichen Management, Gesundheit und Wohlbefinden, Energie, Transport, Wasser, Materialien, Abfall, Landnutzung und Ökologie sowie Umweltverschmutzung. BREEAM verwendet ein Punktesystem, bei dem die Gebäude anhand der erreichten Punktzahl in die Kategorien Pass, Good, Very Good, Excellent und Outstanding eingestuft werden. BREEAM ist besonders für seine Flexibilität bekannt, da es für verschiedene Gebäudetypen und Nutzungsarten angepasst werden kann.

Abb. 3 BREEAM Kategorien und Bewertung

ÖGNI (Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft)
ÖGNI ist das österreichische Zertifizierungssystem für nachhaltiges Bauen, das auf dem deutschen DGNB-System basiert. Es berücksichtigt ökologische, ökonomische, soziokulturelle und technische Aspekte sowie die Prozessqualität eines Gebäudes. Die ÖGNI-Zertifizierung ist für verschiedene Gebäudetypen wie Wohn-, Büro-, Gewerbe- und öffentliche Gebäude anwendbar und wird in den Stufen Bronze, Silber, Gold und Platin vergeben. Die ÖGNI fördert die Anwendung nachhaltiger Bau- und Betriebsprozesse, die sowohl auf Energieeffizienz als auch auf die Lebensqualität der Nutzer abzielen.

klimaaktiv
klimaaktiv ist das Umweltzeichen des österreichischen Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK). Es dient als Qualitätszeichen für nachhaltiges Bauen und Sanieren und unterstützt Bauherren, Architekten und Planer bei der Umsetzung von nachhaltigen Bauprojekten. Das klimaaktiv-Gebäudestandard bewertet Gebäude anhand von Kriterien wie Energieeffizienz, ökologische Qualität der Baustoffe, Komfort und Ausführungsqualität. Die Zertifizierung erfolgt in den Kategorien Bronze, Silber, Gold und Platin, je nach erreichtem Standard.

Abb. 4 klimaaktiv Kategorien und Bewertung

[1-4] Zertifizierungssysteme für Gebäude, Ebert, Eßig , Hauser, 2010

Förderung von Nachhaltigkeit und Innovation
Zertifizierungssysteme fördern die Nachhaltigkeit im Bauwesen, indem sie klare Kriterien und Standards für die Bewertung von Gebäuden vorgeben. Sie ermutigen Bauherren, Architekten und Ingenieure, innovative Lösungen zu entwickeln und umzusetzen, um die Nachhaltigkeitskriterien zu erfüllen. Dadurch tragen Zertifizierungssysteme zur Entwicklung neuer Technologien und Materialien bei und fördern die Verbreitung bewährter Verfahren im Bauwesen.

Verbesserung der Energieeffizienz und Reduzierung der Umweltauswirkungen
Durch die Zertifizierung von Gebäuden können der Energieverbrauch und die Umweltauswirkungen von Gebäuden erheblich reduziert werden. Die Einhaltung der Zertifizierungskriterien führt zu einer verbesserten Energieeffizienz, einer geringeren CO2-Emission und einem reduzierten Wasserverbrauch. Dadurch tragen Zertifizierungssysteme zur Erreichung der Klimaschutzziele bei und helfen, die natürlichen Ressourcen zu schonen.

Steigerung des Immobilienwerts
Zertifizierte Gebäude sind auf dem Immobilienmarkt oft attraktiver und erzielen höhere Preise als nicht zertifizierte Gebäude. Die Zertifizierung signalisiert potenziellen Käufern und Mietern, dass das Gebäude nachhaltig und energieeffizient ist und eine hohe Qualität aufweist. Dadurch können zertifizierte Gebäude ihren Wert steigern und sich von anderen Immobilien abheben.

Verbesserung der Innenraumqualität und  des Nutzerkomforts
Zertifizierungssysteme legen besonderen Wert auf die Verbesserung der Innenraumqualität und des Nutzerkomforts. Sie berücksichtigen Faktoren wie die Luftqualität, das Tageslicht und den akustischen Komfort, die einen direkten Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Gebäudenutzer haben. Durch die Einhaltung der Zertifizierungskriterien können Gebäude gesünder und komfortabler gestaltet werden.

Kosten und Komplexität der Zertifizierung
Die Zertifizierung von Gebäuden kann mit erheblichen Kosten und Aufwand verbunden sein. Die Einhaltung der Zertifizierungskriterien erfordert oft zusätzliche Investitionen in Planung, Materialien und Technologien. Darüber hinaus ist die Zertifizierung mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden, da umfangreiche Dokumentationen und Nachweise erforderlich sind. Dies kann insbesondere für kleinere Bauprojekte eine Herausforderung darstellen.

Verfügbarkeit von nachhaltigen Materialien und Technologien
Die Verfügbarkeit von nachhaltigen Materialien und Technologien ist ein weiterer Faktor, der die Umsetzung von Zertifizierungssystemen erschweren kann. Insbesondere in Regionen mit begrenzten Ressourcen kann es schwierig sein, die erforderlichen Materialien und Technologien zu beschaffen. Dies kann die Einhaltung der Zertifizierungskriterien erschweren und die Kosten erhöhen.

Akzeptanz und Bekanntheit von Zertifizierungssystemen
Die Akzeptanz und Bekanntheit von Zertifizierungssystemen ist ein wichtiger Faktor für ihren Erfolg. In einigen Ländern und Regionen sind Zertifizierungssysteme bereits weit verbreitet und anerkannt, während sie in anderen Ländern noch relativ unbekannt sind. Um die Verbreitung von Zertifizierungssystemen zu fördern, sind Aufklärung und Informationskampagnen erforderlich, um die Vorteile und Möglichkeiten der Zertifizierung bekannt zu machen.

Anpassung an lokale Gegebenheiten
Die Anpassung von Zertifizierungssystemen an lokale Gegebenheiten ist eine weitere Herausforderung. Jedes Land und jede Region hat spezifische klimatische, kulturelle und rechtliche Bedingungen, die bei der Zertifizierung von Gebäuden berücksichtigt werden müssen. Die Anpassung der Zertifizierungskriterien an diese Bedingungen kann die Umsetzung von Zertifizierungssystemen erleichtern und ihre Akzeptanz erhöhen.

Trends und Entwicklungen
Die Zukunft der Zertifizierungssysteme wird von verschiedenen Trends und Entwicklungen geprägt. Dazu gehören die zunehmende Digitalisierung des Bauwesens, die Entwicklung neuer Materialien und Technologien sowie die verstärkte Einbindung von Nachhaltigkeitsaspekten in die Planung und den Betrieb von Gebäuden. Darüber hinaus gewinnen Aspekte wie Klimaschutz, Energieeffizienz und Ressourcenschonung an Bedeutung, was die Nachfrage nach zertifizierten Gebäuden weiter steigern wird.

Integration von Smart Building-Technologien
Die Integration von Smart Building-Technologien in die Zertifizierungssysteme wird eine wichtige Rolle in der Zukunft spielen. Durch den Einsatz von Sensoren, Steuerungssystemen und intelligenten Energiemanagementsystemen können Gebäude effizienter und nachhaltiger betrieben werden. Smart Building-Technologien ermöglichen eine bessere Überwachung und Steuerung des Energieverbrauchs und tragen zur Verbesserung der Innenraumqualität bei.

Erweiterung der Zertifizierungskriterien
Die Erweiterung der Zertifizierungskriterien um neue Aspekte wie Klimaanpassung, Biodiversität und soziale Nachhaltigkeit wird ebenfalls eine wichtige Entwicklung in der Zukunft sein. Diese Erweiterung ermöglicht eine ganzheitlichere Bewertung von Gebäuden und fördert die Berücksichtigung neuer Herausforderungen und Trends im Bauwesen.

Internationalisierung der Zertifizierungssysteme
Die Internationalisierung der Zertifizierungssysteme ist ein weiterer wichtiger Trend. Durch die Harmonisierung von Zertifizierungskriterien und -verfahren auf internationaler Ebene können die Systeme besser an lokale Gegebenheiten angepasst und weltweit eingesetzt werden. Dies erleichtert die Vergleichbarkeit von Gebäuden über Ländergrenzen hinweg und fördert den internationalen Austausch von Wissen und Erfahrungen.

Stärkung der Rolle von Zertifizierungssystemen in der Politik
Die Stärkung der Rolle von Zertifizierungssystemen in der Politik ist ein weiterer wichtiger Trend. Zertifizierungssysteme können als Instrument zur Umsetzung von Klimaschutz- und Nachhaltigkeitszielen auf nationaler und internationaler Ebene eingesetzt werden. Durch die Integration von Zertifizierungssystemen in politische Strategien und Programme können die Systeme eine wichtige Rolle bei der Förderung nachhaltigen Bauens und der Erreichung der Klimaschutzziele spielen.